27. Januar 2024 

„… und der Regen rinnt”

Ein Film, der zeigt, wie Erinnerungsarbeit heute gemacht werden kann.

Der Gemeindesaal der Britzer Stadtmission war gut gefüllt, als am Samstagnachmitttag des 27. Januar die diesjährige Gedenkveranstaltung zum Tag der Opfer des Faschismus mit der Vorführung des Films „… und der Regen rinnt.” eröffnet wurde. Ca. 45 Minuten dauerte die verfilmte Aufführung des Kasseler Sara-Nussbaum-Zentrums, die bei den Anwesenden einen tiefen Eindruck hinterließ. In der folgenden Diskussion stand zunächst die Frage im Mittelpunkt, wie es zu erklären sei, dass so viele Menschen die Ausgrenzung und Ermordung von Nachbarn und Nachbarinnen stillschweigend toleriert oder sogar mitgetragen haben. Dr. Wachholz von der Berliner Touro-Universität verwies zum einen auf die hohe Anzahl von Deutschen, die in verschiedenen Funktionen an den Selektion- und Mordaktionen direkt oder als Schreibtischtäter indirekt beteiligt waren. Zum anderen wurde die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten genannt, die Angst vor und Wohlverhalten gegenüber dem faschistischen Herrschaftsapparat erzeugt und den Rückzug in die eigene Privatsphäre und in eine scheinbar unpolitische Zuschauerrolle gefördert hat. Diese Faktoren hätten auch die schnelle Verdrängung der NS-Herrschaft bis hin zur Leugnung der Verbrechen in den 50iger und frühen 60iger Jahren der Bundesrepublik in hohem Maß bestimmt.

Foto des voll bestzten Saals in der Britzer Gemeinde der Berliner Stadtmission

Erst danach sei es, vor allem im Zuge der demokratischen Bewegungen, ab der zweiten Hälfte der 60iger Jahre zu einer Erinnerungskultur gekommen, in der die Realität der faschistischen Herrschaft wirklichkeitsnah neu bewertet worden sei. Diese Betrachtung werde aber durch die aktuell zu beobachtende Konjunktur eines neuen Autoritarismus bedroht. Ein Rückfall zeichne sich ab, der sowohl von rechten Parteien und Bewegungen als auch von konservativen Kräften getragen werde.
Dagegen aufzustehen ist eine zentrale Frage, die den Kampf um die Demokratie entscheide.
Dazu gehöre zum einen die Demaskierung der rechten Politik, die sich in der AfD und ihrem Umfeld formiert hat. Heute zeige sich diese Partei als die politische Partei, die den sozialen Protest in sich vereine. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass sie wie alle rechten Bewegungen zwar gesellschaftliche Krisen für ihre Propaganda benötige, aber keine sozialen Lösungen in ihrer Politik vorsehe. Dies müsse sowohl auf der Straße als auch in lokalen Veranstaltungen, wie die heutige immer wieder aufgezeigt werden.

Einladung zum 27. Januar - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

Ein großes Problem sei jedoch die aktuelle politische Perspektive. Auch die Parteien der Regierungskoalition sowie der konservativen Opposition bieten diese sozialen Lösungen nicht an. Vielmehr stellen ihre Politik und ihre Forderungen in vielen gesellschaftlich relevanten Bereichen soziale Einschränkungen mit hohem Armutsrisiko, einen Abbau der Infrastruktur und eine ideologische Annäherung an rechte Vorstellungen dar, z. B. in der Asyl- und Migrationspolitik. Es sei eine Kunst, den Kampf gegen den immer stärker werdenden Einfluss der AfD und das Vordringen völkischen Denkens in die Mitte der Gesellschaft zu führen und zwar im Bündnis mit Parteien, deren antisoziale Politik Vorschub für das Anwachsen der AfD leiste. Dennoch müsse dieses Kunststück gelingen, um ein gesellschaftliches Zurück in dunkele Zeiten deutscher Geschichte zu verhindern.
In diesem Zusammenhang wurde in der Diskussion die Erinnerungspolitik thematisiert. Diese dürfe sich nicht auf die wissenschaftliche Aufarbeitung beschränken. Gerade bei der heutigen Jugend seien authentische Erfahrungsberichte und die Darstellung erlebter Schicksale ein wichtiges Instrument, um das Leben während der Zeit des deutschen Faschismus und seine Herrschaftsinstrumente verständlich zu machen. In einer Zeit, in der Zeitzeugen kaum noch und in absehbarer Zukunft gar nicht mehr vorhanden sind, müssen neue Formen und Medien die Vermittlung übernehmen. Und hier sei der Film „… der Regen rinnt” sowohl in seinem inhaltlich dokumentarisch ausgerichteten Charakter als auch in der Übernahme der Rollen durch junge Frauen der heutigen Zeit, in seiner starken Konzentration auf die Erzeugung von Empathie, indem neben den Fakten auch die Gefühlswelt der dargestellten Menschen zum Ausdruck kämen, und in den ausgewählten Texten, Bildern und Musikstücken ein gelungenes Werk, das Nachdenklichkeit erzeuge und zur Diskussion anrege.
Unser Dank geht an die Besucherinnen und Besucher für ihre konzentrierte Beteiligung, an Dr. Michael Wachholz für seinen Einsatz als Diskussionspartner und an die Britzer Gemeinde der Berliner Stadtmission, die uns nicht nur den Raum zur Verfügung gestellt, sondern auch mit ihrer Technik zum Gelingen dieses Nachmittages beigetragen hat.

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